Die Regisseurin
Christiane Ohaus hat Lampes Short Cuts aus ihren Buchdeckeln
befreit und ihnen ein neues Zuhause gegeben. (FAZ)
Ein Strömen von
Bildern und Szenen, viele Gestalten: Kinder, alte und junge
Menschen, Männer und Frauen, Bürger, Artisten, Studenten und
Seeleute. Es geschehen Dinge, wie der Tag sie bringt,
häßliche und rührende, aufregende und leise. Sie geschehen
vor dem Hintergrund und in der Atmosphäre einer schweren
Sommernacht in der Hafengegend einer Großstadt.
"Friedo Lampe schrieb dichterische Prosa, Sätze voller
Schwermut, zart und kräftig zugleich in Geschichten, die vom
ersten Wort an die Spannung des Unheimlichen hatten, auch wenn
sich Unheimliches in ihnen gar nicht ereignete. Sie waren bürgerliche
Welt, diese Geschichten, aber auf magische Weise durchschaute
bürgerliche Welt (...). Es ist kein umfangreiches, aber ein
wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre,
voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller,
und ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen
Literatur." (Wolfgang Koeppen) 1899 wurde Moritz
Christian Friedrich Lampe in Bremen geboren. Nach Militärdienst
und Kriegsreifeprüfung studierte er, aufgrund von
Knochentuberkulose gehbehindert, Literaturwissenschaft und später
Kunstgeschichte und Philosophie in Heidelberg, München und
Freiburg. Er promovierte über die "Lieder zweier
Liebenden" von Goeckingk. Zurück in Bremen wurde er zunächst
Volontär, 1931 Redakteur und Mitherausgeber von Schünemanns
Monatsheften. Er verfasste Kunstkritiken für die
"Weser-Zeitung" und die "Bremer
Nachrichten". 1931 absolvierte er eine Ausbildung zum
Volksbibliothekar. Er wurde für die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen
tätig, arbeitete für verschiedene Verlage als Lektor,
schrieb Erzählungen und Romane. Sein erster Roman "Am
Rande der Nacht" wurde 1933 beschlagnahmt. Sechs Tage vor
der Kapitulation, am 2.5.1945, wurde er von Soldaten der Roten
Armee, die ihn für einen SS-Mann hielten, erschossen.
Die große Welt der kleinen Leute
Faszinierendes Beispiel des Expressionismus
Von Manfred Loimeier (Copyright)
Friedo Lampe lautet der Name eines Autors, dessen Werk durch den
Nationalsozialismus in Vergessenheit gedrängt wurde, und dessen Leben auf geradezu absurde Weise während des Hitler-Regimes ein Ende fand. Der 1899 in Bremen geborene Redakteur, Lektor und
Kunstkritiker Lampe, der in Heidelberg und Freiburg Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte studiert hatte und das Ende des Nazi-Terrors herbeisehnte, geriet sechs Tage vor
Kriegsende in eine Passkontrolle und wurde, weil er auf Grund seiner abgemagerten Statur keine Ähnlichkeit mehr mit seinem Passbild hatte, als potenzieller SS-Mann erschossen.
Lampe erster Roman "Am Rande der Nacht" erschien 1933 und wurde bereits wenige Wochen später von den Nationalsozialisten verboten. Vor zwei Jahren kam dieses
Buch endlich wieder einmal in vollständiger Fassung heraus, und dieser Ausgabe im Wallstein Verlag Göttingen liegt dieses Hörbuch zugrunde, das ebenso fantastisch gesprochen, wie der Roman verfasst
ist. Lampe schildert in einem Zeitraum von vier Stunden die Sorgen und Bedenken diverser Passanten und Passagiere, die im Hafenviertel Bremens ihren Abend verbringen. Eine Hauptfigur gibt es nicht,
stattdessen formen alle Protagonisten zugleich einen vielstimmigen Chor, der das Leben der kleinen Leute jener Zeit besingt.
Hermann Lause, Ferdinand Dux, Dietmar Mues, Burghart
Klaußner, Stefan Merki, Wolf Dietrich Sprenger und Rolf Zacher geben diesen Menschen eine Stimme: einem jungen Mann, der sein erstes
Liebesabenteuer sucht; einem Ringer, der sich seines Alters und seines Begehrens eines jungen Männerkörpers bewusst wird; einem Flötenspieler und seiner über den Tod sinnenden
Vermieterin;
einem Matrose, der unter einem tyrannischen Kapitän leidet. Über dem Ganzen liegt eine neblige, dunstige Atmosphäre, eine düstere Schwüle, die irgendwo zwischen Hanns Henny Jahnn und Alfred
Döblin liegt, zwischen Großstadtdschungel und einer expressionistisch-psychedelischen Innenschau.
Christiane Ohaus hat diese Hörproduktion inszeniert und ein berauschendes Klangerlebnis geschaffen,
das die Atmosphäre dieses Textes nicht nur hörbar macht, sondern auch visualisiert: Man spürt den Schweiß des Ringers, riecht den Atem seines Kontrahenten, wähnt sich am Kai im Bremer Hafen und
glaubt, die feucht-kalte Nachtluft einzuatmen, in der die Figuren dieses Nachtstücks auf- und wieder untertauchen.
Friedo Lampe: Am Rande der Nacht. Eine CD, zirka 110 Minuten, Hörbuch Hamburg (ISBN
3-934120-53-9)
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