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listen listen to  Echofelder UA vom 02.04.2011

 

Bernd Künzig

„Echofelder“ von Birthe Bendixen und Christoph Grund - Bemerkungen zu einem Work in Progress

Die klassische Mythologie im Musiktheater scheint so etwas wie eine Grundbedingung, eine conditio sine qua non zu sein, wenn man an den „Orfeo“ von Claudio Monteverdi als erste gültige Form des Musiktheaters, Oper genannt, zurück denkt. Und der Orpheus-Stoff ist als komponiertes Porträt des mythologischen Sängers bereits als Musik über Musik ein kompositorischer Stoff schlechthin. Nur wenige Stoffe der antiken Mythen besitzen derartig musikalische Vorformung. Vielleicht ist diese am ehesten noch in der Geschichte von Narziss und Echo anzutreffen. In der von Ovid verfassten Version wird die Nymphe Echo von Zeus angehalten, seine Gattin Hera zu unterhalten, während er auf amourösen Pfaden wandelt. Hera, die dieses Ablenkungsmanöver entdeckt, bestraft Echo, in dem sie ihr die eigene Sprache raubt und sie nur die letzten an sie gerichteten Worte wiederholen lässt. Der Echoeffekt also. Aus diesem Grunde war Echo nicht in der Lage, dem in sich selbst verliebten Knaben Narziss ihre Liebe zu gestehen, sondern wiederholte nur dessen letzte Worte. Verschmäht von Narziss verkümmert Echo in der Höhle zu ihrer eigenen Stimme. Nemesis, die Göttin der Erinnerung bestraft den hochmütigen Narziss, in dem er sich nur noch in sein Spiegelbild im Teich verlieben kann. Ein hochmusikalisches Thema also, das von der komplizierten Verschränkung von akustischen und visuellen Wahrnehmungsformen handelt. Erstaunlicherweise konzentrierten sich die Vertonungen dieses mythologischen Stoffes zumeist auf die Figur des Narziss. So in Francesco Antonio Pistocchis früher, 1697 uraufgeführter Oper. Oder auch 1720 Domenico Scarlatti in seiner Narciso-Oper. Selbst Beat Furrer beschränkte sich in seinem 1994 uraufgeführten „Narcissus“ auf die visuelle Seite dieser Wahrnehmungsgeschichte. Und das obwohl Furrer bereits das akustische Echomedium der neuen Musik, in dem sich Erinnerung und Wiederholung – Echo und Nemesis - vereinigen, nämlich die Elektronik mit Bandzuspielungen heranzog.

Auch für Beat Furrers Musiktheater gilt, dass die Neue Musik ja nicht allein für die Erkundungen neuer Klänge bekannt ist. Auch die Formen und die Formate werden neu bestimmt. Aber auch die Rollen von Komponisten und Interpreten. Vielleicht ist es von daher auch angebracht, im Falle der „Echofelder“ von Birthe Bendixen und Christoph Grund nicht von einem Werk, sondern von einem Projekt zu sprechen. Und das ist keineswegs abfällig gemeint. In der Tat sprechen beide Autoren von einem Musiktheaterprojekt zum Thema Echo und Narziss. Und dieses Projekt ist offensichtlich ein Work in Progress, denn „Echofelder“ ist nur ein Teil davon, vielleicht ein Ausschnitt oder auch ein Ausprobieren von neuen Formen des Musiktheaters. Somit wäre auch eine Aufführung der „Echofelder“ beides: Konzert und theatralische Performance. Aus beiden ist „Echofelder“ hervorgegangen. Und da wird eine ungewöhnliche Herangehensweise erkennbar. Denn Werk und Aufführung sind in diesem Fall wenn nicht zwei unterschiedliche Dinge, so doch zwei differente Charaktere, die im Konzert dann aufeinandertreffen. Und Birthe Bendixen und Christoph Grund sind zwei ausgesprochene Konzertprofis. Birthe Bendixen hat sich als Liedsängerin mit einem breiten Spektrum einen Namen gemacht, das vom klassischen Lied bis hin zum Chanson, Kabarett und Experiment reicht. In vielen Fällen ist Christoph Grund ihr zuverlässiger Begleiter am Klavier. Und auch er hat sich in erster Linie als hervorragender Interpret der neuen Musik einen Namen gemacht.  Neben seiner solistischen Tätigkeit ist er der grandiose Orchesterpianist des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg.

Es sind diese Erfahrungswelten der beiden Künstler, die zum Work in Progress mit den mythologischen Figuren Echo und Narziss geführt haben. In den „Echofeldern“  verbinden sich also die Liedsängerin, der erfahrene Klavierbegleiter und der kenntnisreiche Interpret der neuen Musik zum gemeinsamen Projekt. Diese drei Erfahrungsbereiche fließen wohl kaum selbstverständlich zusammen. Sie stellen vielmehr Fragen über Fragen. Wie singt man heute in der neuen Musik? Geht in der neuen Musik überhaupt so etwas wie ein Lied, gar ein Liederabend? Wird nicht alles von vornherein zur Performance? Fragen, die sich Christoph Grund und Birthe Bendixen wohl bei ihrem Projekt gestellt haben. Dass sie dabei auf das mythologische Genre der Begegnung von Echo und Narziss zurückgegriffen haben, muss kaum verwundern. Denn das Verhältnis von Sängerin und Begleiter ist vielleicht so etwas wie das entmythologisierte Verhältnis von Echo und Narziss. Ist die Sängerin das Echo des Klaviers oder umgekehrt das Klavier lediglich der Echowiderhall der Stimme? Und wie viel Narzissmus, wie viel Selbstverliebtheit steckt in beiden Tätigkeiten? Das sind Fragestellungen, die fast schon naturgemäß zu einem Musiktheater über Musik führen müssen. Und so geschieht es denn auch in „Echofelder“. Vom geschlossenen Werkbegriff unterscheidet sich dann auch derartige selbstreflexive Vorgehensweise. Es ist Musik über Musik, ja mehr noch eine Musik über das Musizieren selbst – mit allen Gefahren und Fallstricken. Ein bisschen neurotisch dann eben auch. Und analytisch im psychoanalytischen Sinne. Eine Selbstbefragung zweier Vollblutmusiker: „Der eigentliche Ausgangspunkt dafür war eine Zusammenarbeit mit der Sängerin Birthe Bendixen bei einem Liederabend, den wir gemeinsam gestaltet haben, mit Liedern aus verschiedenen Epochen.“ So schildert Christoph Grund die Entstehungsgeschichte der „Echofelder“.  „Bei diesem Liederabend entstand die Idee, aus dem Nachhall der Lieder, aus der Erinnerung der Lieder, ein neues Stück erwachsen zu lassen. Birthe hat also gleich nach dem Abend Liedfragmente in den Flügel gesungen und wir haben die Resonanzen im Flügelinneren auf den Saiten aufgenommen. Und das ergab Resonanzen der Lieder, die wie ein Liederinnerungsfeld geklungen haben. Daraus ist die Idee entstanden, ein Stück zu machen über Echo. Echo als mythologische Figur, die von Ovid in seinen Metamorphosen dem Narziss gegenübergestellt wird -  beziehungsweise er hat zum ersten Mal die Begegnung geschaffen zwischen Echo und Narziss. Vorher existierten Echo und Narziss als einzelne Mythen. Daraus ist ein Forschungsprojekt entstanden über diesen Mythos Echo und Narziss. Wir haben uns also auf der mythologischen Ebene und auf der psychologischen Ebene damit befasst. Was bedeutet die Bezogenheit, Unbezogenheit, das Selbst, die Selbstferne und Selbstnähe. Unser eigenes Stück ist dann aus diesem Hineinhören in das Resonanzfeld der romantischen Lieder gebaut, die wir auch gemeinsam gestalten in Liederabenden. Und aus diesem Resonanzfeld erwuchs sozusagen eine eigene neue Musik.“

Als agierende Protagonistin wird dabei sowohl inhaltlich als auch strukturell die Sopranistin ins Zentrum gerückt. Der Klavierbegleiter ist eben nur Begleiter. Aber auch eine andere Form des Nachhalls, des Echos. Schließlich aber doch auch der Narziss, der nicht nur sich selbst, sondern auch das Echo manipuliert. Man könnte die Situation mit dem klassischen Monodrama vergleichen, wie es Arnold Schönberg in der „Erwartung“ gestaltet hat: die auf sich allein gestellte und doch manipulierte Stimme, die wie eine Marionette an den Fäden des Klanges läuft.

„Wir haben ganz bewusst die Echo in den Vordergrund gestellt. Es gibt andere Werke bei denen die Narziss-Figur mehr beleuchtet wird. Die Echo hat auch in der gesamten psychologischen und psychoanalytischen Forschung lange eher eine Nebenrolle im Narziss-Mythos gespielt. Wir haben das umgekehrt, um diese Rolle der Echo konzentriert zu gestalten. Um jetzt zurück zu kommen auf die Frage, ob es ein Monodrama oder eine Oper wäre: Es fängt mit einem Hörspiel an und endet als Oper. Das hängt auch damit zusammen, dass wir beide selbst auch Hörspielmusik machen und eigentlich eine Zwischenform suchen, zwischen Musiktheater, Hörspiel und Oper, um den Gesang auch als Gesang in der heutigen Zeit zu gestalten. Die Stimmbehandlung war lange Zeit so, dass man nur noch  Geräusche macht, die Geräuschhaftigkeit der Stimme oder die Konsonantbrechung oder das Gebrochene oder dann auch das Hysterische sozusagen dafür heranzieht. Uns ist ganz wichtig, Stimme und Gesang in der heutigen Zeit zu aktualisieren, so dass man zwar die volle Körperlichkeit der Stimme im Raum spürbar werden lässt und trotzdem zeitgenössische Musik damit gestaltet.“

Diese Wiederentdeckung, gar Wiedergewinnung des Gesangs aus dem Geiste der Musik verleiht den „Echofeldern“ schließlich eine Art proustsche Qualität – ganz im Sinne der Erinnerungsqualität, die dem Stoff eingeschrieben ist. Da das Echo immer auch Wiederhall ist, also längst Verklungenes noch einmal wiederholt aber akustisch-räumlich in die Ferne gerückt, hat es immer auch etwas mit vergangener Zeit, Geschichte und Erinnerung zu tun. Die Musik selbst als Zeitkunst ist ein Kristall, der über die Jahrhunderte hinweg
(Kultur-)Geschichte bewahrt und sie als Echo wiederklingen lässt. In diesem Sinne kehrt auch am Ende der Echofelder die Musikgeschichte wieder, die selbst Ausgangspunkt dieses Projektes war, durchaus im Sinne wehmütiger Gebrochenheit. „Das Ende ist tatsächlich ein Lied aus diesem Liederabend mit Werken von  Henri Duparc: Es heißt ‚Soupir – Seufzer‘, da sozusagen das ganze Stück aus diesen Liederinnerungsfragmenten erwachsen ist, schien es uns schlüssig dann eines dieser Lieder stellvertretend auch ans Ende zu stellen, allerdings mit einer Bearbeitung, bei der die Resonanzen der Stimme im Flügel tatsächlich auch als Begleitinstrument für die Stimme, die dann im Raum wandert, verwendet werden.“

Neben diesen strukturell-musikalischen Momenten besitzt „Echofelder“ ganz im Sinne eines Liederabends auch eine textlich-inhaltliche Komponente. Wie bei einem klassischen Liederzyklus ist auch die Textzusammenstellung gebaute Form, die auf den Mythos von Narziss und Echo sich bezieht, diesen allerdings wiederum mit Formen des Gegenwärtigen und der erinnerten Kulturgeschichte verknüpft.  „Der Hauptbestandteil des Textes ist ein Silbengedicht einer schizophrenen Frau aus der Sammlung Prinzhorn. Aus diesem Textband, der veröffentlich ist, haben wir diesen einen Text ausgewählt. Es sind Silbenkompositionen, in deren Mitte ein deutsches Fragment auftaucht: ‚Ach hätten deine Augen die  meinen nicht gesehen, ich könnte ruhig schlafen und von Dir gehen‘. Dieser Text zieht sich durch das ganze Stück hindurch und zwar sowohl gesungen als Liedtext, als auch gesprochen von mir als Tonbandzuspielung verwendet. Das Ganze ist ergänzt mit einem Shakespeare-Sonett und einem Text, einer künstlerischen Arbeit von Kiki Smith.“

Für die Verräumlichung des Liedes, für den Echoeffekt sozusagen sorgt schließlich die Elektronik, die in „Echofelder“ nicht den Effekt der Garnitur, des Zuckerbächergusses einnimmt, sondern ebenfalls in struktureller und inhaltlicher Hinsicht eingesetzt wird: „Die Elektronik ist aus Stimmklängen und aus Klavierklängen entwickelt. Es gibt nur Stimmklänge und Klavierattackenklänge, Clusterklänge, Loops aus Clustern in unterschiedlichen Verwesungsstadien sozusagen. Es geht bei Echo, bei Erinnerung auch um einen Verwesungsprozess von Klang. Und bei dem Thema Erinnerung ist der Raum für mich eine Möglichkeit, für die Stimme verschiedene Tiefenebenen anzusprechen und in den Raum zu projizieren. Sehr Verwestes einem Ort zuzuordnen, noch Frisches an einen anderen Ort zu stellen und damit den Raum zu komponieren als Gedächtnisraum.“

 

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