Christiane
Ohaus über ihre Arbeit als Regisseurin
|
Der
Text bleibt das Gegenüber Meine
Arbeit beginnt mit dem Text und mit der Suche nach seiner besonderen
Qualität. Sodann gilt es jedes Mal aufs Neue eine dem Wesen dieses
jeweiligen Textes gemäße Darstellungsweise zu finden. Die Auswahl und
Organisation der hörspielspezifischen Mittel wird sich immer der
Textinterpretation unterordnen und kann entsprechend sehr
unterschiedlich ausfallen. Mein Ziel ist es, für jede Hörspielvorlage
eine konsequente und radikale Lösung
bei der Umsetzung zu finden. Sinn
und Reiz eines Gespräches
über rosa und blaue Schlüpfer beispielsweise in dem Hörspiel
„Sprechakte“ von Arkadij Bartov wird wohl weniger in seiner
psychologischen oder politischen Brisanz zu finden sein als vielmehr im
Absurden der Grundkonstellation und in der formalen Konstruktion der
Szene. Ich wählte daher eine stark stilisierende Darstellungsweise : Übertreibungen
und Überzeichnungen im Spiel der Schauspieler, comicartiger Einsatz von
Geräuschblasen, Überdehnung von Pausen, musikalische Wiederholungen
usw. Ein
Hörspiel hingegen wie „Was gibt’s Neues vom Krieg?“ von Robert
Bober, das in einer jüdischen Schneiderwerkstatt im Paris der
Nachkriegszeit spielt, erforderte einen sehr behutsamen Umgang der
Schauspieler mit ihren Figuren, und der dezente Einsatz von Geräuschen
und Musik diente der Schaffung eines historischen Klimas, in dem die
menschlichen Stimmen sich entfalten können sollten. Die größte
Schwierigkeit, und zugleich das Wesentliche bei diesem Stück, in dem
Bober einen kleinen Kreis von Überlebenden der Shoa versammelt, bestand
darin, dem Schmerz dieser Menschen so nah wie möglich zu kommen. Mit
der Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit der Schauspieler steht und fällt
für mich überhaupt die
Qualität jeder Hörspielrealisation. Ich wünsche mir, dass leibhaftige
Menschen die Hörspielwelt bewohnen, die ihrerseits konstruiert und künstlich
sein darf und muß. Bei
der Erschaffung einer Hörspielwelt,
und jedes Hörspiel ist eine solche kleine Welt, geht es nicht
darum, Sichtbares durch „bloß“ Hörbares zu ersetzen,
sondern eine Hörspielsprache zu entwickeln, die nach ihren ganz
eigenen Gesetzen eine Welt konstituiert.
Geräusche
verwende ich daher lieber stilisiert, möglichst nicht in unbearbeiteter
Form und nicht zum Zweck einer realistischen Situierung von Szenen.
Lieber benutze ich sie signalhaft zum
Aufbrechen und Konterkarieren von Szenen. Geräusche als Klänge können
eine Szene atmosphärisch unterstützen oder verfremden. Sie können mit
Musik interagieren, wie sich z.B. aus dem Zusammenspiel eines harten
E-Guitarrensounds mit dem Stampfen alter Dampfmaschinen und Fließbänder
eine reizvolle Polyrhythmik ergeben kann. Sie können in gesampelter
Form selbst musikalisiert werden und beginnen zu tönen, so z.B. wenn
der Musiker Christoph Grund in dem Hörspiel „Die Fernzüge“ eine
melancholische Melodie auf einer quietschenden Straßenbahn spielt. Oder
die Musik ersetzt ein notwendiges Geräusch, wie es der Schlagzeuger
John Marshall in dem Hörspiel „Der graue Gast“ mit den
Tippelschritten und Tänzchen einer Ratte tut. Der
engen Zusammenarbeit mit den Musikern verdanke ich ungeheuer viel. Ich
finde es absolut wichtig, über das Verhältnis von Musik und Wort schon
im Vorfeld der Produktion gemeinsam mit dem Komponisten nachzudenken.
Besonders reizvoll ist es , wenn die Schauspieler die Musik in ihr Spiel
einbeziehen können. Dabei kann es sich um vorgegebene Rhythmen handeln,
mit denen sie interagieren oder
um ein Überschreiten des gesprochenen Wortes hin zum gesungenen Wort.
Wenn die Schauspieler plötzlich singend „aus der Rolle fallen“,
kann sich der emotionale Subtext ihrer Rede enthüllen oder der
musikalisierte Text seine klangliche und formale Schönheit entfalten
oder die Dialogsituation ins Absurde gewendet werden. Nach
neuen Spielformen der Verknüpfung von Musik und Wort zu suchen, das ist
für mich eine spannende Aufgabe für die Zukunft. Das
Spektrum an Texten, die einer Hörspielrealisation zugrunde liegen können,
hat sich in den rund 15 Jahren, die ich in dem Bereich tätig
bin, enorm erweitert. Die geschlossene dramatische Form tritt hinter
offenere Textformen zurück wie beispielsweise die Collage aus mehr oder
weniger disparaten Textstücken, die nahezu allen Genres entspringen können.
Der
Hörspieltext dient häufig nur als Vorlage. Mehr als zuvor entsteht das
Hörspiel erst beim Machen durch
die Gesamtkomposition von Text-Geräusch-Musik. Für
mich als Regisseurin vergrößern sich dadurch die Spielräume.
So sehr ich diese Freiheit begrüße, der Text bleibt das Gegenüber,
das mich während der Umsetzung bindet und antreibt.
|