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Christiane Ohaus und Christoph Grund im Hörspielstudio von Radio Bremen
Christiane Ohaus über ihre Arbeit als Regisseurin

 

Der Text bleibt das Gegenüber      © Christiane Ohaus 2000

Meine Arbeit beginnt mit dem Text und mit der Suche nach seiner besonderen Qualität. Sodann gilt es jedes Mal aufs Neue eine dem Wesen dieses jeweiligen Textes gemäße Darstellungsweise zu finden. Die Auswahl und Organisation der hörspielspezifischen Mittel wird sich immer der Textinterpretation unterordnen und kann entsprechend sehr unterschiedlich ausfallen. Mein Ziel ist es, für jede Hörspielvorlage eine konsequente und radikale Lösung  bei der Umsetzung zu finden.

Sinn und  Reiz eines Gespräches über rosa und blaue Schlüpfer beispielsweise in dem Hörspiel „Sprechakte“ von Arkadij Bartov wird wohl weniger in seiner psychologischen oder politischen Brisanz zu finden sein als vielmehr im Absurden der Grundkonstellation und in der formalen Konstruktion der Szene. Ich wählte daher eine stark stilisierende Darstellungsweise : Übertreibungen und Überzeichnungen im Spiel der Schauspieler, comicartiger Einsatz von Geräuschblasen, Überdehnung von Pausen, musikalische Wiederholungen usw. 

Ein Hörspiel hingegen wie „Was gibt’s Neues vom Krieg?“ von Robert Bober, das in einer jüdischen Schneiderwerkstatt im Paris der Nachkriegszeit spielt, erforderte einen sehr behutsamen Umgang der Schauspieler mit ihren Figuren, und der dezente Einsatz von Geräuschen und Musik diente der Schaffung eines historischen Klimas, in dem die  menschlichen Stimmen sich entfalten können sollten. Die größte Schwierigkeit, und zugleich das Wesentliche bei diesem Stück, in dem Bober einen kleinen Kreis von Überlebenden der Shoa versammelt, bestand darin, dem Schmerz dieser Menschen so nah wie möglich zu kommen.

Mit der Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit der Schauspieler steht und fällt für mich überhaupt  die Qualität jeder Hörspielrealisation. Ich wünsche mir, dass leibhaftige Menschen die Hörspielwelt bewohnen, die ihrerseits konstruiert und künstlich sein darf und muß.

Bei der  Erschaffung einer Hörspielwelt,  und jedes Hörspiel ist eine solche kleine Welt, geht es nicht darum, Sichtbares durch „bloß“ Hörbares zu ersetzen,  sondern eine Hörspielsprache zu entwickeln, die nach ihren ganz eigenen Gesetzen eine Welt konstituiert.

Geräusche verwende ich daher lieber stilisiert, möglichst nicht in unbearbeiteter Form und nicht zum Zweck einer realistischen Situierung von Szenen. Lieber benutze ich sie signalhaft  zum Aufbrechen und Konterkarieren von Szenen. Geräusche als Klänge können eine Szene atmosphärisch unterstützen oder verfremden. Sie können mit Musik interagieren, wie sich z.B. aus dem Zusammenspiel eines harten E-Guitarrensounds mit dem Stampfen alter Dampfmaschinen und Fließbänder eine reizvolle Polyrhythmik ergeben kann. Sie können in gesampelter Form selbst musikalisiert werden und beginnen zu tönen, so z.B. wenn der Musiker Christoph Grund in dem Hörspiel „Die Fernzüge“ eine melancholische Melodie auf einer quietschenden Straßenbahn spielt. Oder die Musik ersetzt ein notwendiges Geräusch, wie es der Schlagzeuger John Marshall in dem Hörspiel „Der graue Gast“ mit den Tippelschritten und Tänzchen einer Ratte tut.

Der engen Zusammenarbeit mit den Musikern verdanke ich ungeheuer viel. Ich finde es absolut wichtig, über das Verhältnis von Musik und Wort schon im Vorfeld der Produktion gemeinsam mit dem Komponisten nachzudenken. Besonders reizvoll ist es , wenn die Schauspieler die Musik in ihr Spiel einbeziehen können. Dabei kann es sich um vorgegebene Rhythmen handeln, mit denen sie interagieren  oder um ein Überschreiten des gesprochenen Wortes hin zum gesungenen Wort. Wenn die Schauspieler plötzlich singend „aus der Rolle fallen“, kann sich der emotionale Subtext ihrer Rede enthüllen oder der musikalisierte Text seine klangliche und formale Schönheit entfalten oder die Dialogsituation ins Absurde gewendet werden. 

Nach neuen Spielformen der Verknüpfung von Musik und Wort zu suchen, das ist für mich eine spannende Aufgabe für die Zukunft.

Das Spektrum an Texten, die einer Hörspielrealisation zugrunde liegen können,  hat sich in den rund 15 Jahren, die ich in dem Bereich tätig bin, enorm erweitert. Die geschlossene dramatische Form tritt hinter offenere Textformen zurück wie beispielsweise die Collage aus mehr oder weniger disparaten Textstücken, die nahezu allen Genres entspringen können. 

Der Hörspieltext dient häufig nur als Vorlage. Mehr als zuvor entsteht das Hörspiel erst beim Machen  durch die Gesamtkomposition von Text-Geräusch-Musik.

Für mich als Regisseurin vergrößern sich dadurch die Spielräume.  So sehr ich diese Freiheit begrüße, der Text bleibt das Gegenüber, das mich während der Umsetzung bindet und antreibt.