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listen listen to an exerpt of Sing & Remember

 

Aus: Positionen, Zeitschrift für Neue Musik, 22/1995 S. 25-27

 

Birthe Bendixen/Christoph Grund

 

Frauen ~ Oper

 

Carmen wird erstochen. Elvira verfällt

dem Wahnsinn. Dido durchbohrt sich

mit dem Schwert. Anna Bolena wird zum

Tode verurteilt. Lucretia ersticht sich. Luise

wird von zu: Hause verstoßen. Norma folgt

dem · Geliebten in den Feuertod. Lakme

nimmt eine giftige Blüte zu sich. Tosca

stürzt sich vom Felsen. (Dieter Zechling,

„Die Oper“, Braunschweig 1981)

 

»Sicher, wer den eigenen Passionen freien

Lauf läßt, muß dafür büßen. Das verlangt

die Gesellschaft, die sonst in ihrer

Ordnung, in ihrem Fortbestand gefährdet

wäre.«  (Catherine Clement: „Die Frau in der

Oper, besiegt verraten und verkauft“

a. d. Franz. von A. Holoch)

 

In der Oper aber wird deutlich vorgeführt,

daß fast nur Frauen zu büßen haben.

Ihr Schicksal ist ja von Männern bestimmt,

die ihre Rollen komponiert haben.

Wir ändern diese Situation radikal. Die

Sängerin bestimmt sich als Hauptperson

selbst. Diese Bestimmung beginnt bei der

Auseinandersetzung mit Positionen von

Frauen, die Haltungen verkörpern, aus denen

heraus eine neue Art von Oper entstehen

könnte.

»Solange die Frau aus ihren persönlichen

Schuldgefühlen nicht herauskommt,

solange sie weiterhin mehr an den Wert des

anderen als an ihren eigenen Wert denkt,

wird der Mann intelligent genug sein, diese

schreckliche Schwäche weiterhin auszubeuten

und dies mit den großartigsten Bezeichnungen

schmücken: mütterliche Aufopferung,

weiblicher Instinkt, Stimme des Blutes.«

(Christiane Olivier: „Jokastes Kinder“, a. d.

Franz. von S. Reinke, München 1989, S.166)

 

Damit Gottfried lebt, muß EIsa sterben.

Gretchens Seele schwebt in den Himmel.

Tat ja na verzichtet auf Liebe. Lady Macbeth

verfällt in Wahnsinn. Beth flieht in die Drogensucht.

Salud stirbt an zerbrochenem

Herzen. Cathleen geht in die ewige Seligkeit

ein. Daphne lebt auf ewig in Gestalt eines

immergrünen, nie welkenden Lorbeerbaumes.

(siehe D.Zechling, a.a.O.)

 

»Die Oper ist Frauensache. Nein, keine

feministische Version; nein, keine Befreiung.

Ganz im Gegenteil: Sie leiden, sie sterben,

sie schreien, auch das nennt man singen.

Sie stellen sich aus, dekolletiert bis

zum Herzen, leuchtend vor lauter Tränen,

mit dem Blick derer, die sich gerade an ihrer

gespielten Seelenpein ergötzt haben.

Keine kommt davon.

(Aber) die Oper ist ohne Zweifel eine

vorübergehende Form, angesichts der

kommenden Jahrhunderte wird nichts

weiter gewesen sein, als der große Schlaf

ihrer Gewalt, die Darstellung, die sich die Männer

von ihrem schlecht abgesicherten Sieg gegeben

haben werden, in einem Kampf, den

nur sie am Leben halten, den nur sie wünschen.

Wir werden weiter singen, schön und lebend,

mit einer Stimme, die keine einzige Bedrohung

mehr erleiden wird. Wir werden etwas ganz

anderes sagen als die aufgeblasenen Worte des

Deliriums und des Schmerzes. Wir werden endlich

nicht mehr darum bitten, daß man uns sterben läßt...

 

Ich weiß nicht, wie dieser Gesang sein wird.

Ich stelle ihn mir wie ein Wiegenlied vor.

Stärker als Koloraturen, höher als die

leidende Stimmung; hör zu ... Dort singt

eine kaum vernehmbare Stimme, eine Stimme

jenseits der Oper, eine zukünftige Stimme.

Eine Stimme, die noch nicht erwachsen

ist: Die Stimme der Zärtlichkeiten und der

Liebkosungen. « (siehe C. Clément, a.a.O, S.24)

 

Um für letzteren Gesang bereit zu sein,

kommen wir nicht umhin, die Stimme von

Zuschüttungen zu entdecken. Der vorbildliche

Gesang, bevor wir ein Bild davon begriffen

haben, wie klingt er. Ein Kampf mit

Idealen, die zu Gefängnissen geworden

sind, wenn nicht sogar als solche geschaffen,

wird als erstes hörbar werden. Gibt es

weiblichen Gesang?

 

Fedora vergiftet sich. Johanna verbrennt

auf dem Scheiterhaufen. Lili tötet sich. Manon

Lescaut stirbt an Erschöpfung, Senta

wirft sich von einer Felsklippe ins Meer.

Marie endet verarmt und bettelnd. Elisabeth

stirbt vor Gram. Salome wird getötet.

Kat ja Kabanova stürzt sich in die Wolga.

Lucie begibt sich in die Hände der Polizei.

Magda öffnet die Gashähne. Isolde folgt

Tristan in den Tod.  (siehe D.Zechling, a.a.O.)

 

Männliche Ideale von Weiblichkeit fanden in

der Oper ihre Erfüllung im Tod der Frau.

»Die Frau ist eine Konstruktion der

männlichen Kultur, deshalb bezieht sich die

feministische Ästhetik fast ausschließlich

auf die Decodierung der Frau, denn die

Frau ist von Projektionen, von Codes und

Bildern bedeckt.«  (Valie Export: „Mediale Anagramme“

In „Kunstmachen“, hrsg. v. F. Rötzer

und S. Rogenhofer, Leipzig 1993, S. 52)

 

Viele dieser Bilder sind in den Opernrollen

für die Ewigkeit in strahlender Dekadenz

vertont worden. »Das Weibliche kommt

in ihnen nur im Inneren von Modellen und

Gesetzen vor, die von männlichen Subjekten

verordnet sind. Was impliziert, daß nicht wirklich

zwei Geschlechter existieren, sondern nur

ein Einziges.«  (Luce Irigary: „Das Geschlecht,

das nicht eins ist“ Berlin 1979, S.89)

 

Wir wollen die Geschichte einer Stimme

erlebbar werden lassen, eine Stimme, die sich

von Idealen befreit. Ein Umgang mit Einprägungen

wird lustbar. Der weibliche Umgang mit sich selbst

setzt die Vorherrschaft eines zur Unsterblichkeit

erstarrten Männlichkeitswahns außer Kraft.

Gesangstechnik hört auf, Kontrolle über Stimme

sein zu wollen. Keine begradigte Kunststimme,

keine Engelstimme aus der Unendlichkeit sondern

die eigene. Wenn es etwas zu hören gibt,

wird es hörbar werden. Vielleicht eine Wut

auf die Be-Herrscher zunächst auch.

Die Skepsis gegenüber einer männlich

verordneten Sprache bringt Camille Paglia

auf den Punkt: „Niemals haben soviele

Wissenschaftler soviel geirrt. Die Vorstellung,

außerhalb der Sprache gebe es keine Erfahrung,

ist doch reinweg idiotisch. Ich

liebe die Sprache über alles, aber ich hätte

mir nie träumen lassen, daß sie die Erkenntnis

schlechthin definiert und determiniert.

Jahrtausendelang haben Weise und

Mystiker aus Ost und West gelehrt, wie begrenzt

die Funktion der Sprache bei der

Wahrheitssuche ist. … Wir lernten, daß Worte,

Namen, Begriffe aufgelöst und transzen-

diert werden müssen .... « (Camille Paglia,

„Der Krieg der Geschlechter“, Berlin 1993, S.220)

 

Konfrontiert wird diejenige, die ihre

Stimme finden will, mit allem, was je auf sie

abgeladen wurde. Die Geschichte prägt sich

in den Klang der Stimme ein. Was ist aber

der Versuch einer anderen Oper in diesem

Umfeld? Wie klingt ein Leben - der hohe

Ton der Sängerin - ohne Künstlichkeit.

Einer Anleitung folgend, sich tönen zu lassen,

beobachten wir die Mimik, sehen die Lip-

pen sich zu einem Laut formen. Der Körper

spannt sich. Wir ahnen Musik. Enthüllt sich

nun eine Geschichte?

 

Recha wird in einen Kessel mit siedendem

Öl geworfen. Luise wird vom Geliebten

vergiftet. Emma landet im Gefängnis.

Euranthe stirbt. Madleine sorgt für ihre eigene

Hinrichtung. Violante wird von ihrem

Mann erstochen. Cordelia wird ermordet.

Desdemona wird erwürgt. Elena tötet sieh

selbst.  (siehe D.Zechling, a.a.O.)

 

Wir verfolgen dagegen Spuren von

Lebenden, von Frauen, wie Jana Haimson,

die durch ihre Arbeit Gelegenheit geben,

»eine Sprache zu entwickeln und zu erkunden,

die erfunden wurde, sieh selbst zu definieren.

«Sie hat keine Vorbilder oder For-

meIn, denen sie folgen könnte. Eines Tages

werde ich dankbar sein, daß ich Dinge nicht

auf gewöhnliche Weise tun kann.« (Jana Haimson:

„Portrait von Susan Morgan” in Neuland, Bd.4 1983/84)

 

»Die Sprache meines Körpers, das ist es,

was mich am meisten interessiert. Ich

möchte Lieder für meinen Körper schrei-

ben. Instrumente haben Grenzen, Körper

nicht. «  Giana Nanini, in: „Warum gerade Sie?

Hrsg. von Alice Schwarzer, Frankfurt/M 1991, S.241)

 

»Ich versuche, zu fühlen, was ich fühle.

Das ist eigentlich ein ganz genaues Wissen,

das ich aber sprachlich nicht formulieren

kann. Ich versuche, es einzukreisen. Ich

stelle Fragen. Hier in der Gruppe. Und ab

und zu treffe ich etwas, was mit dem zu tun

hat, was ich suche. Das weiß ich dann. Dann

krieg ich einen kleinen Zipfel zu fassen. Ich

mache noch kein Stück, sondern ich sammle

erstmal nur Material. Ich frage selten etwas

direkt. Ich frage immer nur um Ecken rum.

Denn wenn die Fragen plump sind, können

die Antworten auch nur plump sein. Ich

merke mir alles.« (Pina Bausch: siehe J.Haimson, s.s.O.)

 

Madame Butterfly erdolcht sich. Leonora

stirbt. Brünhilde reitet in den Feuertod.

Aida stirbt freiwillig den Erstickungstod.

Violetta stirbt an Tuberkulose. Mimi an

Schwindsucht. Hortense siecht dahin.

(siehe D.Zechling, a.a.O.)

 

Es gibt Alternativen zum aufopferungsvollen

Sterben. Wir wollen sie hier zur

Sprache bringen, um das Feld zu bezeichnen,

auf dem wir den neuen Operngesang

entstehen lassen. Zum Beispiel Meredith

Monk:

»Ich versuche, eine Kunst zu schaffen,

die Menschen die Reinheit, mit der ein Kind

sieht, annehmen läßt. Ich meine das nicht in

einem sentimentalen, romantischen Sinn,

sondern in dem Sinn, Dinge in einer frischen,

vorurteilsfreien Weise zu sehen.

Wenn das bedeutet, ein Kind als eine Metapher

zu benutzen, oder mit dieser Art Bewußtsein

umzugehen, dann tue ich

das ... «  (Meredith Monk im Interview mit

Robert Horvitz, Juli 1983, ECM)

 

Kundry wird durch den Tod erlöst. Die

Marschallin resigniert. Gilda opfert sich für

ihren Geliebten und wird erstochen. Mignon

stirbt an Überforderung. Elektra sinkt

in Ekstase nieder. (siehe D.Zechling, a.a.O.)

 

»Death has to be acknowledged; it can't

be lied about. .. we have to start making

friends with death, because that's the new

word. It's been romanticized, it's been disguised,

it's been camouflaged, it's been watered

down - everything but dealt with ...

and it can't be denied anymore.« (Linda Montana,

siehe M. Monk, a.a.o.)

 

Hier ist im Gegensatz zur verlogenen

Verbrämung heldenhaften Sterbens der alltägliche,

klare Umgang mit dem Tod gemeint,

der Aids-Tod z.B. der aus dem Leben

herüberkommt, mit dem wir offen umgehen

müssen.

»Anyway, I guess, I am still trying to teach

myself ... I give myself incredible permission

when it comes to art. I am really ballsy,

I am really gutsy, I love what I do, I

am really good, I have great respect for myself.

And what I am trying to teach myself

is, „listen, this is life; there is no difference

between art and life. So start seeping some

of that life over to the other side.“ lt's almost

like I've created this schizophrenic persona

of an artist, but then there is also this

life ... « (a.a.O, S.57)

 

Das folgende Beispiel verdeutlicht eine

Situation, in der diese Verbindung von Leben

und Kunst als gewachsene kulturelle

Einrichtung existiert:

»Obwohl weder die Frauen der Zaghawi

noch Fur- oder Baggara-Frauen in Afrika offizielle

politische Positionen innehaben,

üben sie anhand ihrer Vokalkompositionen

einen starken Einfluß auf die Entwicklung

des öffentlichen gesellschaftlichen Lebens

aus. Bis ins hohe Alter hinein, so schreibt

Cunnison, sind die Männer der Kritik des

Frauengesangs ausgesetzt ... Auch Traurigkeit

ist eine Quelle der Inspiration für Tshilembe

Ngombe. Manchmal wenn ich allein

bin, wird mein Herz traurig, und ich muß

an meine Tochter denken, die in Angola

lebt, und an meine verstorbenen Kinder.

Dann singe ich ihre Namen, und manchmal

wird es ein Lied für den tshiyanda (Festtanzgattung

der Tshokwe). Diese Art von Liedern

nennt Tshilembe Gesang aus dem Herzen

oder Herzgesang. Man erinnert sich an

ein trauriges Erlebnis und macht in dieser

Stimmung ein Lied. Frauen tun das bei den

Tshokwe nur selten; es sind meist Männer,

vor allem Tshisanji-Spieler, die Herzgesänge

komponieren, Klagelieder also, in denen

persönliche Gefühle deutlich zum Ausdruck

gebracht werden. Frauen machen

Kopfgesänge, nach Meinung von Tshilembe

Ngombe. Kopfgesänge berichten über Ereignisse

von allgemeiner Bedeutung, mahnen,

klagen an, verdeutlichen oder klären eine

gespannte soziale Situation, erzählen oder

erinnern an Vergangenes... Kopfgesänge

macht man nicht für sich selbst, sondern für

die andern, für die Gemeinschaft, in der

man lebt.« (Barbara Schmidt-Wagner:

„Komponistinnen in Afrika“, in Neuland Bd.4, a.a.O. S. 95)

 

Das Wissen, welches Leben in Gesetzen

festschreiben und es konstruierbar machen

will - rekonstruierbar - forderte und fordert

noch immer viele Menschenleben.

Techniken, mit denen alte Ideale zu Maschinen

geworden sind, umgeben uns. Gibt es

einen Weg heraus, oder einen Umgang damit.

Ist das Finden der menschlichen Stimme,

das Wiederentdecken einer Körperverbundenheit

des menschlichen Wesens mit

ihr (der Stimme) ein Weg, um die Grenzen

von oktroyierter Kontrolle aufzulösen und

eine Instanz im Innern zu benutzen? Wir

wollen uns nicht in Polen wie Geist und

Körper zurückverfangen - dennoch zu einem

Handeln kommen, welches Mittendrin-Sein ist.

Mittendrin in Räumen und Bildern auch, welche

Gesang umgeben oder ihn einschließen.

 

Aus dem Moment heraus bewegt könnte so

der Handlungsraum sein, in dem die Sängerin

sich befindet. Sie selbst erblickt die Dinge,

welche zum Bühnenbild werden sollen.

Mit Hilfe von kleinen Kameras fängt sie ein,

was auf große Leinwände um sie herum projiziert

werden soll.

(Nam June Paik stellte uns seine Mini-Kameras

zur freien künstlerischen Verfügung, nachdem

er sie 1993 in seiner VideoOper bei den

Donaueschinger Musiktagen zum letzten

Mal benutzt hatte).

 

Nicht unflexible Bauten, unbewegliche

Kulissen, feste Raster bilden die Bühne.

Eine augenblickliche Auswahl von Bildern

von Dingen, nicht zuletzt vom eigenen

stimmhaften oder stummen Körper umgibt

den Gesang. Die Sängerin erhält sich selbst

zurück. Die Bewegung wird Klang, wird

Bild, wird zur Sprache, wird Bewegung.

Wenn sich Sängerinnen nicht in die Liste

der Toten einreihen wollen, dann müssen

sie sich auf Positionen einlassen, von denen

wir hier einige anzudeuten versuchten. Sie

sind Ausgangspunkt für eine gemeinsame

Arbeit, die menschliche Äußerungsformen

und Daseinsmöglichkeiten entwickeln will.

Eine Oper, die nicht von Generalmusikdirektoren

und Ballettmeistern, nicht von Generalintendanten

und Chordirigenten kommandiert

wird. Anne Jones kommt in ihrem Buch „Frauen,

die töten“ zu dem Schluß, daß Frauen

nicht durch die leidenschaftliche, besitzergreifende

Liebe zu einem Mann töten, sondern

von Todesangst angetrieben werden.

Frauen, die töten, um nicht selbst vernichtet

zu werden, um nicht hübsches Kanonenfutter

zu sein, und dabei noch herzzerreißend

zu singen, Frauen, die töten, um zu leben,

stehen am Anfang unserer gemeinsamen

Arbeit. Aber auch; »- hör zu ... dort singt

eine zukünftige Stimme, eine Stimme die

noch nicht erwachsen ist: Die Stimme der

Zärtlichkeiten und Liebkosungen ... «

(C.Clément, a.a.O. S. 234)

 

Auf einmal ein Rauschen im Raum. Es

ist der Beginn der Musik, oder eines Ganzen

aus Bildern, Texten, Bewegungen und

Räumen, die von Stimme(n) erfüllt sind.

 

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